Ein Beitrag Ihrer Kanzlei Hobohm Natalello Giloth – Erbrechtliches Dezernat, Sitz in Alzey
Schenkungen zu Lebzeiten sollen Vermögen sichern und Streit vermeiden. In der Realität führen sie jedoch oft zu erheblichen Risiken – insbesondere dann, wenn Pflichtteilsberechtigte im Erbfall ihren gesetzlichen Mindestanspruch geltend machen.
Viele Betroffene wissen nicht:
Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 BGB können dazu führen, dass der Beschenkte selbst Jahre nach der Zuwendung noch Geld an Pflichtteilsberechtigte zahlen muss. Der Gesetzgeber hat hierfür einen speziellen Anspruch geschaffen – § 2329 BGB. Der darin geregelte Haftungsdurchgriff birgt in der Praxis eine große wirtschaftliche Gefahr für den Beschenkten. Gleichwohl ist vielen Betroffenen in Alzey, Rheinhessen und Umgebung dieser Haftungsdurchgriff völlig unbekannt – seine finanziellen Folgen aber erheblich.
- Worum geht es beim Pflichtteilsergänzungsanspruch überhaupt?
Pflichtteilsberechtigte – also insbesondere enterbte Kinder oder Ehegatten – haben einen Mindestanspruch auf Beteiligung am Nachlass. Dieser wird allerdings unter Umständen künstlich erhöht, wenn der Erblasser zu Lebzeiten größere Vermögenswerte verschenkt hat.
Der Gedanke dahinter: Der Erblasser soll nicht durch lebzeitige Schenkungen den Pflichtteil „aushebeln“ können. Deshalb werden solche Schenkungen nach dem Abschmelzmodell (10 % pro Jahr) wieder fiktiv dem Nachlass zugerechnet.
- Warum haftet plötzlich der Beschenkte? – Die Rolle des § 2329 BGB
Ist der Nachlass nicht ausreichend, um den Pflichtteilsergänzungsanspruch zu erfüllen, kann der Pflichtteilsberechtigte direkt gegen den Beschenkten vorgehen.
Für juristisch Unkundige wirkt das oft überraschend oder sogar ungerecht. Der Mechanismus ist jedoch in § 2329 BGB klar gesetzlich geregelt:
- Der Pflichtteilsergänzungsberechtigte hat zunächst zu prüfen, ob der Nachlass selbst genug Vermögen enthält. Soweit ein Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht und aus dem vorhandenen Nachlass bedient werden kann, hat der Erbe diesen vorrangig zu erfüllen.
- Anders sieht es aber aus, wenn der vorhandene Nachlass nicht ausreicht, um den Pflichtteilsergänzungsanspruch zu erfüllen: Dann „springt“ der Gesetzgeber zum Beschenkten:
- Der Beschenkte muss die Herausgabe des Geschenks dulden, soweit sein Geschenk dem Pflichtteilsberechtigten den Ergänzungsanspruch sichert. Dies kann der Beschenkte nur durch Zahlung des fehlenden Betrags abwenden.
- Das bedeutet konkret: Ohne eine Zahlung des Beschenkten an den Pflichtteilsberechtigten darf dieser – soweit der Erbe nicht vorrangig zur Erfüllung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs verpflichtet ist – bis zur Höhe des geschenkten Wertes gegen den Beschenkten vollstrecken. Bei Immobilienübertragungen hat der Beschenkte dann konkret die Duldung der Zwangsvollstreckung bis zum Erreichen der Schenkungshöhe hinzunehmen.
- Der Anspruch ist also subsidiär, aber wirtschaftlich hochriskant.
Die praktische Konsequenz: Wer vor 5, 7 oder sogar 9 Jahren Vermögen erhalten hat, muss möglicherweise heute liquide Mittel bereitstellen – selbst wenn das Geschenk längst verbraucht, verkauft oder umgewandelt wurde.
- Besondere Problemlage: Wenn Erbe und Beschenkter identisch sind
Ein besonders heikler Fall entsteht, wenn der Erbe zugleich derjenige ist, der die Schenkung erhalten hat. Diese Konstellation ist keineswegs selten – etwa bei:
- lebzeitiger Übertragung einer Immobilie auf eines der Kinder,
- späterem Tod der Eltern, wobei genau dieses Kind alleiniger oder wesentlicher Erbe wird.
In diesem Fall treffen zwei Rollen aufeinander:
- Der Erbe schuldet den Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil und eine eventuelle Pflichtteilsergänzung.
- Zugleich ist er als Beschenkter regresspflichtig nach § 2329 BGB.
Dies führt häufig zu komplizierten Vermischungen:
- Der Erbe kann nicht einfach „auf den Nachlass“ verweisen, weil er als Beschenkter selbst haftet.
- Er trägt die volle Beweislast für die Höhe, den Umfang und den Wert der Schenkung.
- Ein Regress gegen andere Erben fällt aus – weil er selbst der Erbe ist.
Gerade in diesen Fällen entstehen für den Beschenkten erhebliche Liquiditätsrisiken, die ohne rechtliche Strukturierung kaum beherrschbar sind.
- Warum dieses Risiko in der Nachfolgegestaltung häufig übersehen wird
In der Beratungspraxis zeigt sich: Viele Schenkungen – etwa Immobilienübertragungen unter Nießbrauchvorbehalt oder bei Einräumung eines Wohnungsrechts – lassen die Zehnjahresfrist nicht oder kaum anlaufen, da der Erblasser wirtschaftlich weiter „Herr im Haus“ bleibt.
Der Beschenkte geht daher davon aus, dass er geschützt ist – tatsächlich beginnt die Frist aber mangels vollständiger Besitz- und Nutzungsaufgabe meist nicht zu laufen.
Dies führt dazu, dass Pflichtteilsergänzungsansprüche noch viele Jahre nach der Übertragung entstehen können, obwohl die Beteiligten dies nie erwartet haben. Sollte bei Ihnen also eine Immobilienübertragung als vorweggenommene Erbfolge anstehen, lassen Sie sich zuvor anwaltlich beraten.
